Wohnungslos und obdachlos - worin liegt der Unterschied? Was sind "care leaver" und von wie vielen "herbergssuchenden" Menschen in Österreich sprechen wir überhaupt? In der Beantwortung dieser Fragen wird vorallem die Situation junger Menschen in den Blick genommen.
In der Kirche St. Florian, im fünften Bezirk in Wien, werden seit 2019 obdach- und wohnungslose Jugendliche auf Auszeit und Wohnzimmer eingeladen, auf Ankommen und Herberge - und das nicht nur zu Weihnachten! Mag.a (FH) Barbara Trobej erzählt unserem Host Sophie Mayr worauf es im Kontakt mit obdach- und wohnungslosen Jugendlichen ankommt und wie sie Weihnachten im "open house" feiern.
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Wohnungs- und Obdachlosigkeit werden oft als etwas gesehen, das am Rande der Gesellschaft passiert. Etwas, das nur wenige betrifft. Doch ein Satz, den Mitarbeiter:innen der Wohnungslosenhilfe besonders oft von Betroffenen hören ist: „Ich hätte nie gedacht, dass mir das einmal passiert.“
Obdach- und Wohnungslosigkeit trifft mehr Menschen als häufig angenommen. Und – Wohnungslosigkeit wird jünger. Einige Zahlen zum Einstieg machen Handlungsbedarf beim Thema Wohnungslosigkeit von jungen Menschen besonders deutlich:
Der folgende Text gibt einen Überblick darüber, wie und warum es zu Wohnungslosigkeit kommen kann, und vor welchen spezifischen Problemen Jugendliche und junge Erwachsene in dieser Situation stehen. Der Text wirft im Besonderen einen Blick auf die Situation sogenannter Care Leaver, also junger Erwachsener, die nach Erreichen der Volljährigkeit aus stationären Angeboten der Kinder- und Jugendhilfe ausziehen müssen und sich am Übergang in ein eigenständiges Leben befinden.
Dabei wird besonderes Augenmerk auf strukturelle Problemstellungen gelegt: Welche Faktoren im Hilfesystem und am Wohnungsmarkt bedingen Wohnungslosigkeit bei jungen Menschen? Wo finden sich Lücken im Hilfesystem? Was muss passieren, um Wohnungslosigkeit besonders bei dieser Zielgruppe zu beenden?
Als obdachlos gilt, wer kein Dach über dem Kopf hat. Das betrifft also Menschen, die im Freien schlafen oder in Notunterkünften unterkommen.
Als wohnungslos gilt, wer keine eigene Wohnung hat. Wohnungslose Menschen ziehen beispielsweise bei Freund:innen und Verwandten von Couch zu Couch, leben in Übergangswohnheimen, in Abhängigkeitsbeziehungen oder in anderen prekären Wohnsituationen.
Als verdeckt wohnungslos gelten jene Menschen, die wohnungs- oder obdachlos sind, sich (noch) nicht an unterstützende Stellen gewandt haben und daher nicht als wohnungslos registriert sind. Das betrifft oft junge Erwachsene, die prekär wohnen und die nie einen Mietvertrag hatten, Frauen, die keinen Ausweg aus Gewalt- und Abhängigkeitsbeziehungen finden und jene, die sich aus Scham oder Angst nicht an Sozialorganisationen wenden.
Wenn in diesem Text von wohnungslosen Menschen gesprochen wird, sind alle oben genannten Gruppen mit ein eingeschlossen.
Als minderjährig gelten alle Menschen unter 18 Jahren.
Die Definition junger Erwachsener bzw. Jugendlicher ist etwas komplizierter. Junge Menschen stehen auch nach dem gesetzlichen Erwachsenenalter mit 18 Jahren noch vor vielen Übergangsphasen im Leben, durchleben Prozesse der Identitätsbildung und der Findung von Lebensentwürfen, hoher Mobilität und Flexibilität – mit gleichzeitig niedrigerer Stabilität im Berufsleben, Einkommen und eben in der Wohnsituation. Wie lange diese Lebensphase dauert und wie sie zu bezeichnen ist, dazu gibt es verschiedene Definitionen. Im internationalen Raum spricht UN Habitat etwa bei 15 bis 32-Jährigen von „Youth“, UNICEF bezeichnet 10 bis 24-Jährige als „Young People“. In Österreich gelten Menschen laut Bundesjugend-Vertretungsgesetz bis zur Vollendung des 30. Lebensjahres als junge Erwachsene.
Der Begriff Care Leaver beschreibt jene jungen Erwachsenen, die einen Teil bzw. ihre gesamte Kindheit und Jugend in betreuten Wohneinrichtungen der Jugendwohlfahrt oder in Pflegefamilien verbracht haben.
Wohnungslosigkeit ist ein komplexes Phänomen mit unterschiedlichsten Ausprägungen und Ursachen. Natürlich spielen Einschnitte in die persönliche Geschichte eine Rolle. Krankheit, eine gescheiterte Beziehung, Sucht, eine Haftstrafe – Brüche im Lebenslauf können eine Abwärtsspirale entstehen lassen. Wenn es in diesen Situationen auch noch an leistbarem Wohnraum fehlt, steht am Ende die Wohnungslosigkeit.
Doch um wohnungslos zu werden, braucht es keine drastischen biografischen Einschnitte. Dieses Risiko gibt es vermehrt in allen Gesellschaftsgruppen, etwa in bestimmten Übergangsphasen des Lebens: in der Jugend, bei Pensionsantritt, bei Jobwechsel oder Arbeitslosigkeit, bei auslaufenden Mietverträgen, oder wenn Menschen gezwungen sind, ihren Lebensmittelpunkt aufzugeben.
Wenn wir von Wohnungslosigkeit bei jungen Menschen sprechen, ist besonders zu erwähnen: Wohnungslosigkeit ist oft keine Folge von Wohnungsverlust, sondern eine Ausgangssituation. Häufig bleibt jungen Erwachsenen der Zugang zum Wohnungsmarkt verwehrt. Sozialorganisationen nehmen wahr, dass immer öfter Menschen Unterstützung suchen, die noch nie einen eigenen Mietvertrag hatten.
Wohnungslosigkeit ist also oft ein Resultat aus vielen strukturellen Problemlagen. Im Folgenden sind Faktoren festgehalten, die Wohnungslosigkeit im Speziellen bei jungen Menschen bedingen können.
Wenn wir von Wohnungslosigkeit bei Minderjährigen sprechen, sei erstens erwähnt: Wenn Eltern wohnungslos werden, betrifft das auch deren Kinder. Besonders trifft dies Mütter, die mit ihren Kindern in verdeckter Wohnungslosigkeit leben.
Kurzfristige Wohnungslosigkeit entsteht bei Minderjährigen darüber hinaus dann, wenn das Elternhaus zu einem für sie unsicheren Ort wird – wenn es etwa zu Konflikten und Gewalt kommt und stabilisierende soziale Ressourcen fehlen. In diesen Fällen werden Betroffene in Einrichtungen der Jugendwohlfahrt, etwa in betreuten Wohnheimen, Jugend WGs etc. versorgt. Sie fallen also nicht unter die Verantwortung der Wohnungslosenhilfe.
Genau hier entsteht aber ein Bruch im Unterstützungssystem – mit dem Erreichen des (gesetzlichen) Erwachsenenalters geht der Anspruch auf Kinder- und Jugendhilfe verloren und junge Erwachsene sind oft am hart umkämpften Wohnungsmarkt auf sich allein gestellt (siehe dazu den Abschnitt „Care Leaver: besonders von Wohnungslosigkeit bedroht“).
Wohnungslosigkeit bei jungen Erwachsenen entsteht selten ohne Vorgeschichten. Mit dem plötzlichen Übergang ins Erwachsenenalter können in der Jugend vorhandene Benachteiligungen weitere Konsequenzen mit sich ziehen.
Junge wohnungslose Erwachsene blicken oft auf Biografien mit vielen Brüchen zurück. So kann die Wohnsituation in der Familie bereits belastend oder bruchstückhaft gewesen sein. Ähnlich können Betroffene auf Aufenthalte in verschiedenen institutionellen Settings zurückblicken. Die Lebensphase junger Erwachsener ist tendenziell von Kurzfristigkeit, Spontaneität und Rückschlägen geprägt – wenn in solchen Fällen Sicherheitsnetze fehlen, kann Wohnungslosigkeit die Folge sein.
Wer aus einem armutsbetroffenen Elternhaus kommt oder die Kindheit in Einrichtungen der Jugendwohlfahrt verbracht hat, ist nicht mit dem für den heutigen Wohnungsmarkt notwendigen Startkapital für Kaution, Finanzierungsbeiträge, Möblierung/Ablöse, Umzugskosten ausgestattet. Fehlende finanzielle Mittel können also bereits eine große Hürde in der Anmietung einer ersten eigenen Wohnung darstellen und so zu Wohnungslosigkeit führen.
Neben den finanziellen, stehen junge Menschen vor formellen Hürden am Wohnungsmarkt. Zugangskriterien zu leistbaren Wohnsegmenten – also dem kommunalen und gemeinnützigen Wohnbau – unterscheiden sich je nach Region. Überall sind aber durchgehende Meldezeiten im jeweiligen Bundesland notwendig, um für eine Wohnung aus diesen Segmenten infrage zu kommen. Diese Notwendigkeit steht oft im Widerspruch zur hohen Mobilität junger Menschen, etwa durch Jobwechsel, zur Ausbildung, nach ersten eigenständigen Wohnerfahrungen in befristeten WG-Zimmern etc.
Oft sind junge Erwachsene also auf den privaten Wohnungsmarkt angewiesen. Doch dieser ist teurer und voller informeller Hürden. So können Vorurteile und Ressentiments von Vermieter:innen gegenüber jungen Menschen dazu führen, dass sie bei der Wohnungssuche nach hinten gereiht werden. Der hohe Druck am privaten Wohnungsmarkt führt auch dazu, dass junge Menschen, die mit den Dos-and-Don’ts bei Wohnungsbewerbungen noch weniger vertraut sind, stark im Nachteil sind.
All diese Schwierigkeiten, am Wohnungsmarkt Fuß zu fassen, können dazu führen, dass junge Menschen (verdeckt) wohnungslos werden. Wenn keine eigene Wohnung gefunden wird, leben Betroffene etwa in rechtlich ungesicherten Verhältnissen (informell und ohne Mietvertrag), in überfüllten WGs oder im problembehafteten Elternhaus, oder – und dies betrifft besonders junge Frauen – sie leben in Situationen, in denen der Wohnplatzgeber ihre Abhängigkeit ausnutzt. Diese prekären Wohnverhältnisse können in der Folge zu akuter Obdachlosigkeit führen.
Alle oben genannten Faktoren, die den Zugang zu leistbaren Wohnungen für junge Erwachsene erschweren und damit zur Wohnungslosigkeit führen können, betreffen auch die Gruppe der Care Leaver. Doch Care Leaver sind mit weiteren, speziellen Herausforderungen konfrontiert.
Kinder, die in Fremdunterbringung aufwachsen, werden bis zum 18. Lebensjahr vom System der Kinder- und Jugendhilfe betreut. Das heißt, sie wachsen etwa in institutionellen Settings wie Wohnheimen, Jugend-WGs, in Unterkünften für unbegleitete minderjährige Geflüchtete, Kinderdörfern, oder auch in Pflegefamilien auf. Dort erhalten sie umfassende Betreuung und Ansprechpersonen sind rund um die Uhr erreichbar. Das ändert sich ab dem 18. Geburtstag. Zwar kann eine dreijährige Verlängerung beantragt werden, einen Rechtsanspruch gibt es darauf jedoch nicht.
Kurz gesagt: Ab dem gesetzlichen Erwachsenalter von 18 Jahren sind Care Leaver auf sich alleine gestellt, auch dann, wenn die Suche nach einer passenden, leistbaren Wohnung im Anschluss noch nicht geklappt hat. Das steht im starken Kontrast zu Menschen, die nicht in Fremdunterbringung aufgewachsen sind: Durchschnittlich ziehen diese in Österreich mit 25 Jahren nachhaltig von Zuhause aus.
Care Leaver haben außerdem keine Spielräume, die vollen Konsequenzen des eigenständigen Wohnens in ersten Versuchen kennenzulernen. Wenn es bei Rechten und Pflichten eines Mietvertrags, beim richtigen Einschätzen der Kosten, bei Nachzahlungen von Strom und Heizung zu Schwierigkeiten kommt, gibt es für Care Leaver keinen Ort, an den sie zurückkehren können. Ohne ein Netz, das sie im Ernstfall auffängt, droht die Wohnungslosigkeit.
Gelingt es Care Leavern nicht direkt eine eigene Wohnung zu finden, sind sie nun auf das System der Wohnungslosenhilfe angewiesen. Unter jungen wohnungslosen Menschen sind Care Leaver überproportional vertreten. So blicken 40% der Bewohner:innen des JUCA – Haus für junge Erwachsene der Caritas Wien, zumindest auf zeitweise Phasen der Fremdunterbringung in ihrer Kindheit zurück.
Mit niederschwelligen Anlaufstellen, Notunterkünften und Übergangswohnheimen ist die Wohnungslosenhilfe darauf ausgerichtet, akute Obdachlosigkeit zu verhindern. Ein Weg zurück ins selbstständige Wohnen passiert so oft in vielen Schritten – mit allen damit einhergehenden möglichen Brüchen und Veränderungen. Junge Erwachsene werden in diesem System mit ihren altersspezifischen Anliegen häufig nicht voll wahrgenommen und möglicherweise mit heraus- und überfordernden Situationen konfrontiert, die destabilisierend wirken können. Doch junge wohnungslose Erwachsene benötigen vor allem eines: Zugang zur eigenen Wohnung und Betreuung ganz nach ihrem individuellen Bedarf. Ein Ansatz der Wohnungslosenhilfe kann – wenn entsprechend ausgebaut – besonders auch jungen Erwachsenen zugutekommen.
Der Grundansatz von Housing First ist simpel. Anstatt von Wohnungslosigkeit Betroffenen einen langwierigen institutionellen Weg durch Notschlafstellen und betreute Unterkünfte auf Zeit vorzugeben, steht bei Housing First die eigene Wohnung am Anfang: Betroffene erhalten direkt einen eigenen Mietvertrag mit allen damit verbundenen Rechten und Pflichten. Vom Erstkontakt über die Wohnungssuche bis hin zur Unterstützung beim Ankommen werden Menschen von Sozialarbeiter:innen ganz nach dem eigenen Bedarf begleitet.
In Österreich wird der Housing First Ansatz bereits seit über 10 Jahren erfolgreich von einzelnen Sozialorganisationen praktiziert. Einen wichtigen Schritt dazu, den Ansatz in die Breite zu bringen, macht die BAWO mit dem Projekt housing first österreich – zuhause ankommen. Gefördert vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz setzten dabei 25 Sozialorganisationen in sieben Bundesländern den Housing First Ansatz um – manche zum ersten Mal. Der Clou am Projekt: Eine enge Zusammenarbeit mit gemeinnützigen Wohnbauträgern und die Möglichkeit, Finanzierungsbeiträge, Kautionen und Umzugskosten aus Projektmitteln zu bezahlen, machen leistbare Wohnungen für armutsbetroffene Menschen zugänglich.
Das Konzept, das im Projekt housing first österreich entwickelt wurde, eignet sich besonders auch für die Zielgruppe junger Erwachsener. Erstens baut es die zuvor beschriebenen Hürden zu leistbarem Wohnen ab. Und zweitens stellt es sicher, dass junge Menschen, die zum ersten Mal eigenständig wohnen, genau jene Unterstützung erhalten, die sie für eine langfristige Wohnperspektive brauchen. Ein massiver Ausbau an Housing First Angeboten in ganz Österreich wäre also ein wichtiger Schritt, um Wohnungslosigkeit bei jungen Menschen zu bekämpfen.
Doch dieses Angebot muss eingebettet sein in zusätzliche wohn- und sozialpolitische Maßnahmen, die sicherstellen, dass junge Menschen mit dem Übergang ins Erwachsenenalter nicht wohnungslos werden. Angebote der Wohnungslosenhilfe müssen um ein breiteres Spektrum an Einrichtungen für junge Erwachsene und im Speziellen Care Leaver erweitert werden, bzw. müssen bestehende Angebote ihre Konzepte zielgruppenspezifisch anpassen.
Für Care Leaver müssen die Schnittstellen zwischen Kinder- und Jugendhilfe, Wohnungslosenhilfe und Gesundheitseinrichtungen verstärkt und Lücken geschlossen werden. Es ist dafür zu sorgen, dass junge Menschen auch nach dem 18. Lebensjahr Zugang zu Betreuungssystemen haben, die sie auf den Weg in die Selbstständigkeit begleiten. Es braucht niederschwellige Beratungsstellen, die besonders auf die Bedürfnisse (zukünftiger) junger Mieter:innen eingehen.
Gleichzeitig muss auch die Wohnungssicherung flächendeckend gestärkt werden, um Delogierungen und damit abermalige Wohnungslosigkeit zu vermeiden.
Letztendlich lässt sich Wohnungslosigkeit aber nur mit effektiver Wohnpolitik lösen. Es braucht daher Maßnahmen, die leistbaren Wohnraum ausbauen, stärken und ihn für jene verfügbar machen, die ihn am dringendsten brauchen. Vergabesysteme im kommunalen und gemeinnützigen Wohnbau müssen die Lebenssituation junger Erwachsener – sei es hohe Mobilität, sich ändernde Beziehungen und/oder Arbeitsverhältnisse etc. – mitberücksichtigen.
Jegliche Maßnahmen, welche die stets steigenden Mieten im privaten Wohnsegment regulieren, tragen außerdem zu einem inklusiveren und leistbaren Wohnungsmarkt bei.
„Das Ziel des Chill Out ist es, jungen Menschen in Notlagen ganzheitlich und parteilich Unterstützung zu bieten, damit sich ihre Situation nachhaltig verbessern kann. Hierbei vereint das Chill Out drei Bereiche unter einem Dach.
Die Anlaufstelle kann man sich wie ein Jugendzentrum vorstellen. Es gibt eine Bar, einen Kicker, es ist ein Ort, um sich aufzuhalten – oder auf einen Termin in der Beratung zu warten. Auch gibt es hier konkrete Hilfen, wenn man wohnungslos ist: Wasch- und Duschmöglichkeiten, Spinds usw. Junge Menschen haben hier die Möglichkeit, die Einrichtung zu beschnuppern, ohne sofort über mögliche Probleme sprechen zu müssen. Das soll einen niederschwelligen Zugang zu den anderen Bereichen ermöglichen.
Am selben Ort haben wir eine Beratungsstelle. Hier unterstützen wir junge Erwachsene und Jugendliche dabei, konkrete Problemlagen zu lösen. Der Schwerpunkt liegt dabei auf den Bereichen Wohnungssuche bzw. Suche nach betreuten Wohnplätzen und Existenzabsicherung. Aber z. B. auch bei diversen rechtlichen Fragen oder Gesundheitsthemen (etwa Suche nach Psychotherapie) bieten wir Unterstützung an. Der dritte Bereich ist das Übergangswohnen. Hier gibt es 10 kurzfristige Wohnplätze, vorrangig für minderjährige Personen, aber auch junge Erwachsene. Hier können wir jedes Jahr zwischen 50 und 70 junge Menschen aufnehmen und unterstützen sie in der Zeit intensiv, bis sie einen Wohnplatz in einer längerfristigen Jugendwohneinrichtung finden oder sich die Situation zu Hause wieder verbessert hat. Das Chill Out ist hierbei eine von nur zwei Einrichtungen in Innsbruck, die Krisenwohnplätze für Jugendliche anbieten.“
„Viele haben schon eine Idee davon, was wir machen und kommen mit einer konkreten Anfrage zu uns. Entweder sie wissen vom Übergangswohnen und suchen dringend nach einem Wohnplatz. Oder sie wissen von der Beratungsstelle und haben dann auch ein konkretes Anliegen – sei es, eine Postadresse einzurichten, Unterstützung bei Anträgen für Unterstützungsleistung oder Hilfe bei der Wohnungssuche. Manchmal kommen aber auch junge Menschen in einer verzweifelten Situation zu uns und erzählen erstmal von ihren Problemen. Dann ist es an uns, vorzuschlagen, wie wir unterstützen könnten.
Ein großer Teil der Menschen die sich an das Chill Out wenden hat Traumatisierungen erlebt. Sie waren entweder selbst von häuslicher Gewalt betroffen oder Zeug*innen von Gewalt. Viele kommen auch nach der Beendigung in Kinder- und Jugendhilfe-Einrichtungen oder nach dem Asylverfahren zu uns. Letztere müssen nach einem positiven Asylbescheid aus der Unterkunft für Geflüchtete ausziehen und stehen dann oft ohne Wohnplatz und ohne Einkommen da.“
„Das ist höchst individuell. Zu uns kommen Jugendliche und junge Erwachsene aus allen Gesellschaftsgruppen. Viele waren schon seit längerer Zeit in unterschiedlichsten Stellen in Betreuung und haben schon Erfahrung mit dem Hilfesystem. Manchmal fällt es da leichter, wieder Unterstützung anzunehmen, andere erinnern sich aber auch an schlechte Erfahrungen mit dem Hilfesystem und müssen erst wieder neues Vertrauen fassen.
Besonders für junge Menschen, die noch nie zuvor mit dem Unterstützungssystem Kontakt hatten, sind die Hürden oft immens. Häufig halten Familien bei Konfliktsituationen jahrelang den Deckel drauf. Aus Angst vor Stigmatisierung wenden sie sich nicht an die unterstützenden Stellen. Häufig müssen oder wollen die jungen Erwachsenen dann mit 18 schlagartig ausziehen, was sehr problematisch ist, da sie dann aufgrund ihres Alters meist keine Unterstützung mehr durch die Kinder- und Jugendhilfe erhalten. Hier ist das Hilfesystem und die ganze Gesellschaft gefordert, derartige Schwellen abzubauen und den Zugang zu Unterstützung zu erleichtern und zu enttabuisieren.“
„Die große Herausforderung bei diesem Übergang ist, dass die Schnittstelle nicht gut funktioniert. Maßnahmen wie ambulante Betreuung in der Familie, oder Erziehungseinrichtungen, in denen junge Menschen wohnen können, kommen ab dem 18. Geburtstag oft zu einem abrupten Ende. In manchen Fällen werden sie noch etwas verlängert, aber mit dem 21. Geburtstag ist endgültig Schluss.
Diese Altersgrenze ist unserer Wahrnehmung nach viel zu früh eingezogen. Durchschnittlich ziehen Menschen in Österreich mit 25 Jahren nachhaltig aus dem Elternhaus aus. Es ist also absurd, dass junge Leute, die ohnehin schon schwere Startbedingungen haben und auf die Unterstützung der Kinder- und Jugendhilfe angewiesen sind, schon mit 18 bzw. 21 Jahren ganz auf eigenen Beinen stehen sollten.
Das Chill Out unterstützt junge Menschen in dieser Übergangsphase auf unterschiedlichen Ebenen. Die, die noch mit der Kinder- und Jugendhilfe in Kontakt sind, unterstützen wir dabei, dass ihre Hilfsmaßnahmen möglichst noch über die 18. Geburtstag hinaus verlängert werden. Anderen helfen wir bei der Suche und Finanzierung einer eigenen Wohnung bzw. eines WG-Zimmers oder suchen betreute Wohnplätze im Erwachsenenbereich. Ein Projekt an dem das Chill Out unmittelbar beteiligt ist, ist z. B. das Projekt Homebase in Kooperation mit dem Roten Kreuz in Innsbruck. Hier werden Startwohnungen für junge Erwachsene durch das Rote Kreuz angemietet und sie werden in einer Übergangsphase durch das Chill Out oder ambulante Betreuer der Kinder- und Jugendhilfe bei der Verselbstständigung unterstützt. Wenn das gut klappt, können die jungen Menschen dann nach ein, zwei Jahren selbst in den Mietvertrag für die Wohnung einsteigen.“
"Gerade junge Erwachsene aus ohnehin schon benachteiligten Verhältnissen – und dabei besonders auch junge Geflüchtete – haben wenig Chancen am privaten Wohnungsmarkt. Erstens wegen ihrer finanziellen Situation: Viele sind noch in Ausbildung, ihr Einkommen reicht nicht aus, um Lebensunterhalt und Wohnen absichern. Wenn dann auch noch der familiäre Rückhalt fehlt sind die meisten Wohnungen einfach nicht leistbar. Aber auch wenn eine Wohnung etwa durch Mindestsicherung bezahlbar wäre, kommt es oft zu Diskriminierungen. Viele private Vermieter:innen verlangen Nachweise, dass die Miete aus dem eigenen Lohn finanziert wird, da es viele Vorurteile gibt.
Hinzu kommt die verschärfte Situation am Wohnungsmarkt. Die Mieten in Tirol sind extrem hoch und es gibt kaum politische Interventionen, um den Markt zu regulieren. Es gibt in Tirol viel zu wenige gemeinnützige bzw. Stadtwohnungen. Hilfesysteme wie die Mindestsicherung unterstützen zwar bei den Mietkosten, orientieren sich dabei aber nicht an den tatsächlichen Wohnkosten in den Bezirken.
Ein weiterer Ausschlussgrund ist das Alter. Viele Vermieter:innen stehen jungen Erwachsenen skeptisch gegenüber und zweifeln an ihrer Verlässlichkeit, es fallen Sätze wie: ‚So junge Leute wollen wir nicht, da ist dann sicher ständig Party und es gibt Stress mit den Nachbarn.‘ Es gibt sehr viele Vorurteile gegenüber jungen Menschen.“
"Es braucht auf jeden Fall einen leichteren Zugang zu leistbaren Wohnungen. Da es in Tirol viel zu wenige gemeinnützige und Gemeindewohnungen gibt, sind sehr viele Menschen auf den zu teuren, privaten Wohnungsmarkt angewiesen. Ich habe oft den Eindruck, dass hier in einfach nicht bedarfsgerecht gebaut wird.
Ein Problem ist auch, dass man in Tirol erst ab dem 18. Geburtstag einen Antrag auf eine Gemeindewohnung stellen kann. Oft wartet man dann noch Jahre, bis man eine Wohnung zugewiesen bekommt. Hier fordern wir eine frühere Antragslegitimation, z. B. schon ab 16, damit gerade ökonomisch benachteiligte junge Menschen rechtzeitig ihren Bedarf deklarieren können. Außerdem müssen die Schnittstellen im Sozialsystem gestärkt werden. Zwischen Kinder- und Jugendhilfe, der Grundversorgung und der Wohnungslosenhilfe braucht es viel durchlässigere Systeme.
Zwar sind schon Verbesserungen erreicht worden. Z. B. werden Kinder- und Jugendhilfe-Maßnahmen in Tirol heute sicher häufiger über den 18 Geburtstag verlängert als früher.
Wir fordern aber gesetzliche Änderungen dahingehend, dass die Maßnahmen der KiJuHi bis Mitte 20 gewährt werden können und erstmalige Unterstützungen auch noch nach dem 18. Geburtstag ermöglicht werden.
Ganz konkret fordern wir das auch für unsere eigene Sozialberatungsstelle im Chill Out. Es wäre dringend notwendig, dass wir hier junge Erwachsene über den 21. Geburtstag hinaus beraten können, was wir aber nur durch die entsprechende Förderung bewältigen können. Auch betreute Wohnangebote außerhalb der Kinder- Jugendhilfe – z. B. im Reha-Bereich – müssen dringend ausgebaut und an Bedarf junger Erwachsener angepasst werden. Derzeit kommt es hier oft zu enorm langen Wartezeiten auf einen Platz.
Und zuletzt muss allgemein der Bereich der Existenzabsicherung erwähnt werden: Armut ist der Hauptrisikofaktor für Wohnungslosigkeit. Nur wenn öffentliche Unterstützungsleistungen am tatsächlichen Bedarf orientiert sind, kann die Lebenssituation der Betroffenen nachhaltig abgesichert werden."
Die BAWO (Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe) setzt sich für die Beendigung von Wohnungs- und Obdachlosigkeit und für leistbares, dauerhaftes und inklusives Wohnen für alle ein. Als Dachverband sieht sich die BAWO als politische Interessensvertretung der Wohnungslosenhilfe in Österreich. Mit Publikationen, Vernetzungsarbeit und Fachtagungen entwickelt die BAWO Antworten auf strukturelle Fragen rund um das Thema Wohnungslosigkeit und Wohnungsnot und treibt fachliche Standards voran. 56 NGOs und 91 persönliche Mitglieder sind Teil der BAWO.
BAWO steht für Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe.
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Quellen:
Statistik Austria: Wohnen 2022. Zahlen, Daten und Indikatoren der Wohnstatistik. https://www.statistik.at/fileadmin/user_upload/Wohnen-2022_barrierefrei.pdf
AG Junge Wohnungslose: Über den Bedarf eines Gesamtkonzepts für junge Erwachsene zur Prävention von Obdach- und Wohnungslosigkeit.
United Nations Department of Economic and Social Affairs: Definition of Youth Facthseet. https://www.un.org/esa/socdev/documents/youth/fact-sheets/youth-definition.pdf
Bundeskanzleramt: Jugendpolitik: Fakten und Begriffe. https://www.bundeskanzleramt.gv.at/agenda/jugend/jugendpolitik/jugendpolitik-fakten-und-begriffe.html
neunerhaus: Was sind Care Leaver? https://www.neunerhaus.at/blog/was-sind-care-leaver/
Zahrhuber, Christian & Hammer, Elisabeth: Betrachtungen zum Wohnen aus der Perspektive der Wohnungslosenhilfe. Eine Kontextualisierung mit Lösungsansätzen. In: AK Wien: Wohnen für die Vielen. Sammelband zur Tagung. https://emedien.arbeiterkammer.at/viewer/image/AC16940025/75/
BAWO – Wohnen für alle: Housing First: Wie Sozialorganisationen und gemeinnützige Bauvereinigungen Wohnungslosigkeit beenden können. https://bawo.at/101/wp-content/uploads/2023/10/BAWO_WhitePaper_HousingFirst.pdf
Verband Wiener Wohnungslosenhilfe: Jung und Wohnungslos in Wien. Situationsbericht 2023. http://www.verband-wwh.at/Situationsbericht%20VWWH%202023.pdf