Wer es mit Kindern gut meint, muss ihre Eltern unterstützen. Wer theologisch präzise und elementar denkt und handelt, muss die Eltern unterstützen, wenn man Kindern den Weg mit Jesus eröffnen und nicht verbauen will – wie die Jünger es damals getan haben. Jesus wurde „zornig“, als er sah, dass seine Jünger die Leute wegschickten, die Kinder zu ihm brachten, – natürlich waren es die Mütter.
Der gesamte Artikel von Albert Biesinger ist hier als Download verfügbar.
Viele Gemeinden feiern Gottesdienst so, dass Kinder sich nicht willkommen fühlen. Andere Gemeinden heißen dagegen in der Sonntagseucharistie Kinder, die um den Altar herum versammelt sind, herzlich willkommen. Sie realisieren auf ihre Weise die Aufforderung Jesu: Lasst die Kinder zu mir kommen. Das Direktorium für Kindergottesdienste1 sieht das – übrigens von Rom empfohlen – ausdrücklich
vor.
Wie es gehen kann – ein Fallbeispiel2
In der Seelsorgeeinheit St. Luzius in Hechingen (Baden-Württemberg) feiern zwei Mal im Monat am Sonntag ca. 250 Kinder, Eltern, Großeltern und Singles Eucharistie – gleichzeitig liturgisch adäquat dem Ritus folgend sowie kind-, familien- und erwachsenengerecht3. Wie das möglich ist? Der „Sonntagvormittag mit LUKI“ – die Gemeinde heißt St. Luzern – beginnt um 10 Uhr im Gemeindehaus. Dort treffen sich verschiedene Kindergruppen und ihre Leiter/innen zu einer Spielstraße mit verschiedenen Angeboten. Ich komme hinzu, um die Situation wahrzunehmen und religionspädagogisch zu reflektieren. „Haben Sie schon eingecheckt?“ – Am Eingang liegen Anstecker mit den Namen der Kinder und Leiter/innen. Die dahinter stehende Symbolik: Du bist hier wichtig, du wirst erwartet. Du bist willkommen und gehörst dazu.
Das Gemeindehaus ist voller Gruppen auf allen drei Stockwerken: Erstkommuniongruppen, Gruppen von Kindern, die im letzten
Jahr zur Erstkommunion gegangen sind, Kindergartengruppen… Sie haben in der Mitte ein Symbol, ein Bild, einen Bibeltext. Sie
wirken konzentriert. Im ersten Stockwerk trifft sich das Leitungsteam der Gemeinde zum gemeinsamen Gebet zur Vorbereitung: sich öffnen und begleiten lassen vom Heiligen Geist.
Kurz vor 10.30 Uhr in der gegenüberliegenden Kirche: Vorne rechts im Kirchenschiff ist eine große PowerPoint-Wand: „Wir begrüßen euch zur schönsten Stunde der Woche.“ Die Eucharistiefeier als „schönste Stunde der Woche“ – das ist eine komplett andere Botschaft als: langweilig, ich verstehe nichts, hat nichts mit mir zu tun, da will ich nicht mehr hingehen.
Die vordere Hälfte der Kirche füllt sich. Die Kinder ziehen aus dem Gemeindezentrum in Gruppen in die Kirche ein: leise, konzentriert, andächtig. Doch plötzlich schreien sie im Chor: 10, 9, 8, 7, 6, 5, 4, 3, 2, 1 – dann absolute Stille, vorne eine Klingel. Der Pfarrer zieht mit zehn Ministranten ein und beginnt mit dem liturgischen Gruß die Eucharistiefeier.
Dieser Pfarrer ist keineswegs ein „liturgischer Chaot“, der sein eigenes Hochgebet formuliert oder anderweitig willkürlich die Grundstruktur der Eucharistiefeier verändert. Die Eucharistiefeier beginnt mit dem Bußakt. Auf der großen Leinwand vorne wird jeder Schritt transparent gemacht: Die Lieder und Gebete werde im Volltext abgebildet. Diese Gemeinde geht davon aus, dass jeden Sonntag auch Menschen hinzukommen, die schon lange nicht mehr bei einer Eucharistiefeier waren oder sogar zum ersten Mal kommen.
Der Predigt des Pfarrers für die Erwachsenen geht eine kurze Predigt für die Kinder voraus. Die Pastoralreferentin sucht in der Rolle eines Detektivs nach Matthäus. Nach kurzer Zeit hat sie mit den Kindern erschlossen: Es geht um die Berufung von Matthäus, dem Zöllner. Was heißt das, wenn Jesus ruft? Warum ruft er gerade diesen Zöllner? Was wäre gewesen, wenn Matthäus „nein“ gesagt hätte? Und wie ist es mit uns, sagen wir auf den Ruf von Jesus „ja“ oder „nein“? Viele Kinder beteiligen sich am Gespräch, die Pastoralreferentin bündelt theologisch punktgenau auf den Bibeltext.
Danach gehen sie in ihren Gruppen ins Gemeindehaus zurück – andächtig und geordnet. Sie vertiefen diese biblische Botschaft altersgemäß im Blick auf ihr eigenes Leben. Der Pfarrer kommt währenddessen weiter nach hinten in die Mitte der Kirche – der
vordere Teil ist ja jetzt wieder leer, weil die Kinder im Gemeindezentrum sind. Er liest das Sonntagsevangelium, begleitet von den Ministranten mit Leuchtern. Die Predigt für uns Erwachsene ist präzise und hat mir einige elementare Gedanken mit in die Woche gegeben.
Vor dem Hochgebet kommen die Kommunionkinder des letzten Jahrgangs herein. Sie sollen ja logischerweise mitfeiern. Die anderen Kinder kommen erst zum Vaterunser zurück. Viele Kommunionhelfer teilen das eucharistische Brot aus oder segnen die Kinder einzeln. Am Ende des Gottesdienstes erscheint auf der großen Leinwand: „Wir danken, dass ihr mit uns gefeiert habt und wir laden euch wieder ein am 23. Oktober zur schönsten Stunde der Woche.“
Beim Hinausgehen sehe ich viele fröhliche und glückliche Gesichter und viele junge Eltern, die ich aus meiner Erfahrung nicht von vornherein zum Milieu der Sonntagskirchgänger rechnen würde… Als Religionspädagoge und Homiletiker reflektiere ich:
Hier wird dieselbe Eucharistiefeier gefeiert, wie sie in den Gemeinden im Umkreis in der Regel mit nur ganz wenigen Kindern und jungen Eltern gefeiert wird, in zumeist insgesamt immer leerer werdenden Kirchen…
Kinder stehen als eigenständige Personen, systemisch gedacht, in spezieller Kommunikation mit ihren Eltern. Dies hat sowohl evolutionsbiologische, psychische, ernährungs- und überlebensspezifische Aspekte als auch sozialisationstheoretische Begründungen.
In der Regel lernen Kinder in Kommunikation mit ihren Eltern grundlegende Bedeutungen für ihr Leben. Lothar Krappmann, bedeutender Sozialisationstheoretiker am Max-Planck-Institut für Bildungsforschung in Berlin, hat im Kontext des symbolischen Interaktionismus (George Herbert Mead) darauf hingewiesen, dass Bedeutungen durch Interaktion entstehen. So verhält es sich ebenfalls mit religiösen Bedeutungen, da religiöse Interpretationen der Wirklichkeit durch Interaktion entstehen.4
Der gesamte Artikel ist hier als Download verfügbar.
Quelle: Walter Krieger und Balthasar Sieberer (Hg.): Gottes.Kinder.Welten. Linz: Wagner Verlag, S. 122–140
Literaturverzeichnis:
1 http://www.liturgie.de/liturgie/index.php?bereich=publikationen&datei=-
pub/oP/dok/DfKindermessen (zuletzt geprüft 27.02.2014).
2 Vgl. BIESINGER Albert (unter Mitarbeit von HILLER Simone): Gotteskommunikation:
Religionspädagogische Lehr- und Lernprozesse in Familie, Schule
und Gemeinde, Ostfildern 2012, 168f.
3 Vgl. http://www.sse-luzius.de/entdecken/kinderkirche-luki.html (zuletzt geprüft
am 27.02.2014).
4 Vgl. BIESINGER Albert: Religiöse Sozialisation als „symbolische Interaktion“?
In: STACHEL Günter (Hrsg.): Glaube, Erfahrung und religiöse Sozialisation, Zürich –
Einsiedeln – Köln 1979, 160-164.